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glidewell-stage © Glidewell Dental/David Manahan
© Glidewell Dental/David Manahan

17.01.2022

Cloud-vernetzter IPC unterstützt Losgröße-1-Fertigung in Dentalfabrik

PC- und EtherCAT-basiert gesteuertes Präzisionsfräsen zur Herstellung von Zahnersatz

Nach der CAD-Revolution in der Zahnmedizin in den frühen 2000er Jahren entwickelte sich der US-Zahnersatzhersteller Glidewell Dental schnell zu seiner heutigen hochautomatisierten Produktion. Flexible Automatisierungslösungen von Beckhoff erleichterten nun zusätzlich die Modernisierung einer Zahnersatzfabrik. Dabei dient der Ultra-Kompakt-Industrie-PC C6015 als IoT-Gateway, über das patientenspezifische NC-Programme aus der Cloud abgerufen sowie Produktionsdaten von insgesamt 40 Fräsmaschinen alle zwei Sekunden zur Analyse übertragen werden.

1970 von Jim Glidewell in den eigenen Räumlichkeiten gegründet, beschäftigt das Unternehmen aus Irvine, Kalifornien, heute weltweit mehr als 4.300 Mitarbeiter und produziert ein breites Portfolio an Produkten für Zahnersatz und Dentaltechnik. Bei der Produktion von Zahnersatz, wie z. B. Kronen, Brücken oder Prothesen, muss jedes Produkt in Losgröße 1 gefertigt werden. Bei Glidewell Dental erfordert die Herstellung von Zehntausenden solcher patientenspezifischen Produkte pro Woche einen immensen technischen Aufwand. „Wir machen jedes Jahr Geschäfte mit etwa 60.000 Zahnärzten – das sind fast 50 % aller praktizierenden Zahnärzte auf dem US-Markt für Zahnwiederherstellung", sagt David Leeson, Vice President of Engineering bei Glidewell.

Glidewell implementierte in seinem Werk für BruxZir®-Zirkonoxid-Zahnersatz bisher zwei komplette Fertigungslinien mit je 20 Fräsmaschinen; geplant ist der Ausbau auf eine dritte Linie mit weiteren 20 Fräseinheiten.
Glidewell implementierte in seinem Werk für BruxZir®-Zirkonoxid-Zahnersatz bisher zwei komplette Fertigungslinien mit je 20 Fräsmaschinen; geplant ist der Ausbau auf eine dritte Linie mit weiteren 20 Fräseinheiten.

Dafür schicken Zahnärzte die Gebissabdrücke der Patienten per Post an Glidewell oder laden digitale 3D-Scans auf eine firmeneigene Digitalplattform hoch, die auf der Cloud von Amazon Web Services (AWS) aufbaut. Eine proprietäre KI-Technologie generiert dann für jeden Abdruck ein maßgerechtes Design und wandelt die CAD-Datei in ein patientenspezifisches NC-Projekt um. Die hochmoderne BruxZir®-Fertigungsanlage von Glidewell weist einem Auftrag die vorgeschriebenen Merkmale wie Zahngröße, -farbe und -dicke zu und wählt einen unbearbeiteten Block aus Zirkonoxid von geeigneter Größe, Form und Farbe aus. Ein Roboter übergibt diesen Rohling zur anatomiegerechten Formgebung an einen Frästurm. Danach wird der Zahnersatz glasiert, um ihm eine natürlichere Oberfläche zu verleihen. Barcode-Scanner und eine Vision-Anwendung stellen die lückenlose Nachverfolgbarkeit sicher.

„Um den Regelkreis zu schließen, erzeugen optische Scanner ein 3D-Abbild des fertigen Produkts, und ein Algorithmus vergleicht dieses mit der CAD-Datei. Das Zahnimplantat muss auf 50 μm genau sein, um die Qualitätsprüfung zu bestehen – und in den meisten Fällen liegt die Abweichung bei nur 20 μm", sagt Kunal Patil, Automation Manager bei Glidewell. „Selbst wenn wir nur die Verglasung von Hand durchführen würden, könnten dabei Abweichungen von bis zu 150 μm auftreten. Mit der PC-basierten Automatisierung erreichen wir eine viel höhere Präzision."

Produktionsausbau erfordert erhöhte Steuerungsleistung

Für den Aufbau der BruxZir-Fabrik suchte das Ingenieursteam von Glidewell nach flexiblen, skalierbaren und industriegerechten Automatisierungstechnologien. Außerdem musste Glidewell seine Kapazitäten von nur einem Frästurm mit vier Fräsmaschinen auf eine Linie mit je fünf Frästürmen ausbauen und schließlich auf eine zweite komplette Linie mit fünf Türmen und insgesamt 40 Fräsmaschinen. Zudem mussten die Komponenten den erheblichen Mengen an Zirkonoxidstaub standhalten können.

Als Glidewell 2018 mit der Implementierung des ersten Frästurms begann, erkannte das Ingenieursteam, dass seine alten Steuerungen der Aufgabe nicht gewachsen waren. „Mit den bisherigen Steuerungssystemen gab es viele Probleme bei der Synchronisierung zwischen Robotern und mehreren Steuerungen, dem Debugging und der Echtzeitkommunikation", sagt Kunal Patil. „Nach der Evaluierung verschiedener Automatisierungsplattformen wechselten wir zu Beckhoff."

Multitouch-Control-Panels von Beckhoff dienen zur übersichtlichen Visualisierung der Fräsprozesse.
Multitouch-Control-Panels von Beckhoff dienen zur übersichtlichen Visualisierung der Fräsprozesse.

Leistungsfähige und IoT-fähige Industrie-PCs

Die BruxZir-Fabrik setzt auf mehrere Industrie-PCs (IPCs) und die Automatisierungssoftware TwinCAT 3 von Beckhoff. Ein Ultra-Kompakt-Industrie-PC C6015 mit AWS-Zertifizierung dient als IoT-Gateway und stellt die NC-Programme aus der Cloud bereit. Ein leistungsstarker Schaltschrank-IPC C6930 kommuniziert als zentrale Liniensteuerung mit mehreren Robotern, Vision-Systemen, Feldgeräten sowie den Maschinensteuerungen an den Frästürmen. Ein Embedded-PC CX5140 übernimmt die 4-Achs-Motion-Control der vier Fräsmaschinen eines Frästurms – d. h. 16 Achsen pro Steuerung – mit TwinCAT NC I. Im Zusammenspiel bieten die PC-basierten Steuerungen optimale Konnektivität, Verarbeitungsleistung und Skalierbarkeit, um die 20 Fräsmaschinen mit 80 Bewegungsachsen in einem Standardsystem zu automatisieren. Kunal Patil zufolge erfüllen die Steuerungen auch die Anforderungen an Kosteneffizienz und Langlebigkeit.

Neben den anwendungsspezifischen Anforderungen musste die BruxZir-Fabrik die seit 2020 geltenden kalifornischen IoT-Richtlinien erfüllen, so David Leeson: „Mit IPCs von Beckhoff können wir zugelassene Antivirensoftware innerhalb der Windows-Umgebung ausführen. Diese Lösung erfüllt alle Anforderungen an Cybersicherheit ohne Leistungsbeeinträchtigungen, was uns beeindruckt hat." Laut Kunal Patil schätzt sein Team auch die Möglichkeit, die Standard-Maschinensteuerungslogik, erweiterte CNC-Programme und APIs in C# und .NET in einer Softwareplattform zu programmieren.

TwinCAT IoT und der IPC C6015 sind mit AWS IoT Greengrass, dem Open-Source-Edge-Runtime- und Cloud-Service, verbunden und senden alle 2 s wertvolle Produktionsdaten zur Analyse. Dies erleichtert neben der Fehlersuche und vorausschauenden Wartung auch die Steigerung der Maschinenperformance und Verbesserung der Produktqualität.

Präzision und Effizienz durch TwinSAFE und Servotechnik

EtherCAT bietet Echtzeit-Kommunikationsraten für die industrielle Fertigung auf Hochleistungsniveau. Mit TwinSAFE ist zudem auch die funktionale Sicherheit integraler Bestandteil des Steuerungssystems. „Bei so vielen gleichzeitig ablaufenden Prozessen wollen wir nicht, dass alle Fräsmaschinen stoppen, wenn jemand einen Not-Halt für eine bestimmte Fräsmaschine auslöst. TwinSAFE ermöglicht es uns, einzelne Fräsmaschinen und Sicherheitszonen auszuschalten, und wir können diese Logik komplett innerhalb eines Projekts erstellen", erläutert Kunal Patil.

Die Beckhoff-Teammitglieder John Helfrich, Applikationsentwicklungsingenieur, Charles Usher, regionaler Vertriebsingenieur, und Lauren de Rosset, Applikationsingenieurin, arbeiten eng mit Automation Manager Kunal Patil und Vice President of Engineering David Leeson von Glidewell Dental zusammen (v.l.n.r.).
Die Beckhoff-Teammitglieder John Helfrich, Applikationsentwicklungsingenieur, Charles Usher, regionaler Vertriebsingenieur, und Lauren de Rosset, Applikationsingenieurin, arbeiten eng mit Automation Manager Kunal Patil und Vice President of Engineering David Leeson von Glidewell Dental zusammen (v.l.n.r.).

Servoverstärker AX5000 und Servomotoren AM8000 mit One Cable Technology (OCT) von Beckhoff treiben die Pick-and-Place-Roboter für die Bestückung der Frästürme mit Rohlingen an. In den Fräsmaschinen wird die platzsparende kompakte Antriebstechnik von Beckhoff eingesetzt, d. h. die Servomotoren der Serie AM8100 und die Servoklemmen EL7211 mit OCT. Dabei haben sich die Servomotoren AM8100 trotz der hohen Belastung aufgrund der ständigen Richtungsänderungen als robust, zuverlässig und hochpräzise erwiesen. „Wenn die Motoren auch nur geringfügig abweichen würden, würde unser Endprodukt nicht mit den Konstruktionsvorgaben übereinstimmen oder das Material könnte abplatzen und schon bei geringen Vibrationen Defekte aufweisen", beschreibt Kunal Pati die hohen Anforderungen.

PC-based Control reduziert Komponentenanzahl und Kosten

Die BruxZir-Fabrik hat nach der Umstellung auf PC-based Control von Beckhoff sowohl hochpräzise Fertigungs- als auch Datenerfassungsmöglichkeiten erhalten. Jede Fräsmaschine fertigt ein Produkt in etwa zehn Minuten, und die Produktion läuft rund um die Uhr. Das Unternehmen erweitert nun auf eine dritte vollständige Linie und insgesamt 60 Fräseinheiten. Durch die Beckhoff-Technik konnte die Anzahl der benötigten Automatisierungskomponenten reduziert werden, so David Leeson: „Unsere bisherigen Steuerungen konnten jeweils nur eine Fräsmaschine steuern, während die Beckhoff-Steuerungen jeweils vier Maschinen abdecken. Außerdem hätten die alten Steuerungen einen separaten PC benötigt, um die gleichen Funktionen für Datenerfassung und Cloud-Konnektivität zu erreichen." Kunal Patil fügt hinzu, dass andere von Glidewell geprüfte Steuerungslösungen fast doppelt so viel gekostet hätten.

Glidewell evaluiert kontinuierlich neue Beckhoff-Technologien, einschließlich der Gigabit-Kommunikation mit EtherCAT G und der Visualisierungssoftware TwinCAT HMI, um die Lösungen weiter zu verbessern. „Glidewell und Beckhoff haben eine ähnliche Geschichte: Sie begannen mit einem einzigen Inhaber und verzeichneten ein schnelles Wachstum durch ihre Leidenschaft zur Innovation", sagt Kunal Patil. „Wir sehen Beckhoff darum nicht nur als Lieferanten, sondern als unseren Partner an."