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23.03.2022

Mit leistungsfähiger und offener Steuerungstechnik zum Baumkuchen 4.0

Ultra-Kompakt-Industrie-PC und TwinCAT bei der robotergestützten Lebensmittelherstellung

Bei japanischen Robotern denken viele an Großroboter in Produktionsstätten, kollaborative Roboter sowie Anwendungen im Gastronomie- und Pflegebereich. Eine aufsehenerregende Lösung für die Lebensmittelherstellung hat Juchheim Co., Ltd, ein seit über 100 Jahren tätiger Süßwarenhersteller, vorgestellt.

Roboter „Theo“ backt hochwertige Baumkuchen, gesteuert von einem Beckhoff Ultra-Kompakt-Industrie-PC mit TwinCAT und unterstützt durch eine Artificial Intelligence (AI)-Anwendung. Bei der Entwicklung des Steuerungssystems inkl. Integration eines Roboters von Denso Wave unterstützte das Ingenieurbüro Matsuura Denkosha Co., Ltd. 1909 gegründet und seit 1922 in Japan präsent betreibt die Juchheim Group mit Verwaltungssitz in Kobe als Anbieter im oberen Baumkuchen-Segment über 350 Filialen in Japan und Singapur. Seit Gründung des Unternehmens backen die Konditoren nach demselben Rezept – ohne jegliche Lebensmittelzusatzstoffe.

Mit PC-based Control und AI-Unterstützung kann Juchheim an all seinen Standorten Baumkuchen in Konditormeister-Qualität anbieten.
Mit PC-based Control und AI-Unterstützung kann Juchheim an all seinen Standorten Baumkuchen in Konditormeister-Qualität anbieten.

„Das Backen von Baumkuchen erfordert fortgeschrittene Fähigkeiten und Erfahrung des Konditors“, betont Herr Matsumoto, Geschäftsführer des Juchheim-Zentralwerks. Wenn sich jedoch die Parameter des Ofens erfassen und remote einstellen sowie der Backgrad präzise anzeigen lassen, können die Konditormeister von Juchheim lokale Maschinen aus der Ferne steuern und so qualitativ hochwertige Baumkuchen herstellen. „Mit Theo geht Juchheim noch einen Schritt weiter“, so Herr Yokoyama, Berater von Juchheim. „Durch integrierte AI können mit dem Know-how der Konditormeister Baumkuchen überall auf der Welt mit der gleichen Juchheim-Qualität gefertigt werden.“ „Die Idee für Theo stammt ursprünglich von Hideo Kawamoto, dem Präsidenten von Juchheim,“ ergänzt Herr Matsumoto.

Parallel zur Entwicklung von Theo plante das Unternehmen den Bau eines neuen Gebäudekomplexes zum Thema Lebensmittelinnovation – das „Baum-Haus“ in Sakae, Nagoya. Bestandteil des Konzepts war auch ein gläsernes Backstudio, das mit Theo zu einem vollautomatisierten Baumkuchenstudio weiterentwickelt wurde.

Mit PC-based Control zuverlässig zu 13 Teigschichten

Das Herstellungsverfahren eines Baumkuchens ist an sich einfach: Ein rotierender Kernstab wird immer wieder mit flüssigem Teig bestrichen und in den Ofen geschoben – bis 13 Teigschichten gleichmäßig gebacken sind.

Vor dem Backen müssen Teigbehälter und Kernstab zum Ofen transportiert und in ihn geschoben werden. Was normalerweise Bedienpersonal erledigt, lässt sich per Förderband und Roboterarm vergleichsweise einfach automatisieren. Das Backen selbst erfordert jedoch einen Experten. Dessen Fertigkeiten repliziert Theo mithilfe von AI. Für diese bis dato beispiellose Aufgabe wählte Juchheim das Ingenieurbüro Matsuura Denkosha als Entwicklungspartner aus. Das Unternehmen verfügt nicht nur über Know-how im Bereich AI, sondern auch über umfangreiche Erfahrungen in der Steuerung von Knickarmrobotern. „Die Baumkuchen-Anlage besteht aus drei Theos, einem vertikalen Knickarmroboter und einem Förderband, das die Teigbehälter und Stangen transportiert“, erklärt Herr Kitano, Geschäftsführer von Matsuura Denkosha. Alle Komponenten werden von einem Beckhoff Ultra-Kompakt-Industrie-PC C6030 mit Intel®-Core™-i7-CPU und über EtherCAT gesteuert.

Herr Yokoyama, Berater von Juchheim (links), und Herr Matsumoto, Geschäftsführer des Juchheim Zentralwerks, haben mit Beckhoff-Technologie das Know-how ihrer Konditormeister für Baumkuchen in Software gegossen.
Herr Yokoyama, Berater von Juchheim (links), und Herr Matsumoto, Geschäftsführer des Juchheim Zentralwerks, haben mit Beckhoff-Technologie das Know-how ihrer Konditormeister für Baumkuchen in Software gegossen.

Das im Baum-Haus installierte System ist fast vollständig automatisiert. Der Bediener muss nur noch den Baumkuchenteig und die Kernstäbe vorbereiten und auf das Förderband legen, einen der drei Öfen am Bedienpanel auswählen und den Backvorgang starten. Danach transportiert das Förderband Teigbehälter und Kernstab automatisch an die angegebene Position. Der Roboter nimmt Behälter und Stab auf und legt sie vor dem Ofen ab. Dann beginnt der Roboter, den Kernstab mit Teig zu ummanteln und die Schichten nacheinander aufzutragen. Die im Ofen implementierte AI-Funktionalität überwacht den Backvorgang und sorgt für einen optimalen Gargrad.

Herr Kitano erklärt: „Vorteil des Beckhoff-IPC und von TwinCAT ist die Echtzeitsteuerung des Ablaufs über EtherCAT und die Integration von Windows.“ In diesem System steuert TwinCAT 3 PLC das Förderband, die Drehung des Ofens sowie das Öffnen und Schließen der Tür durch präzise mit der Roboterbewegung synchronisierte EtherCAT-Antriebe und -Motoren. Darüber hinaus bietet der IPC eine hohe Skalierbarkeit, um auch eigene Windows-Anwendungen zu verwenden, sowie die Möglichkeit zur Remote-Systemwartung. Die I/O-Komponenten von Beckhoff spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Schließlich sind viele Sensoren und Kameras einzubinden. Durch das kompakte Gehäuse und das breite Spektrum der EtherCAT-I/Os konnte der Systemintegrator Schaltschrankplatz einsparen und den Engineering-Aufwand minimieren.

AI-Inferenz und TwinCAT PLC auf einer Plattform

Die AI-Funktionalität läuft als Windows-Anwendung auf demselben IPC. „Wir nutzen multimodale AI-Technologie, um den Zustand des Baumkuchens zu überwachen“, betont Herr Kitano. Dazu sind vor jedem Ofen Hochleistungskameras installiert, die Bilder der Kuchenoberfläche aufnehmen. Diese Daten werden mit weiteren Sensordaten, u. a. von Strahlungspyrometern, verknüpft. Das auf einem Convolutional Neural Network (CNN) basierende AI-Modell, das zuvor in Python in einer separaten Umgebung trainiert wurde, ist im IPC als Windows-Applikation implementiert.

Mit der Anzahl der Teigschichten vergrößert sich der Durchmesser des Baumkuchens. Entsprechend variieren verschiedene Parameter wie der Abstand zur Ofenwand und die Backzeit, die erforderlich ist, um den optimalen Gargrad einer Teigschicht zu erreichen. Es handelt sich um einen äußerst heiklen Prozess, der eine sorgfältige Überwachung der Backbedingungen bis zur Herausnahme aus dem Ofen zum optimalen Zeitpunkt und für das Auftragen der nächsten Teigschicht erfordert. Außerdem muss die Teigoberfläche mit einem Spachtel geglättet werden, damit der Baumkuchen seine charakteristische zylindrische Form erhält.

Ein Beckhoff-IPC C6030 steuert nicht nur die Förderanlagen und Ofentüren über TwinCAT; auch das antrainierte AI-Modell läuft darauf unter Windows.
Ein Beckhoff-IPC C6030 steuert nicht nur die Förderanlagen und Ofentüren über TwinCAT; auch das antrainierte AI-Modell läuft darauf unter Windows.

Um den optimalen Backprozess eines Konditormeisters zu reproduzieren, werden normalerweise fünf bis sechs Chargen Baumkuchen benötigt. Eine Charge erfordert 30 min zum Backen, sodass die Gesamtzeit für die Datenerfassung bei etwa 3 h liegt. „Auf Grundlage dieser begrenzten Datenmenge dauert es ca. 20 h, das AI-Modell zu trainieren, einschließlich der abschließenden Tests“, erklärt Herr Kitano.

Im Betrieb prüft Theo die Bilddaten der Kamera und die Daten weiterer Sensoren in Echtzeit, um den Zustand des Baumkuchens zu bestimmen: Ist eine Teigschicht in optimalen Zustand, wird dies an die Steuerung zurückgemeldet. TwinCAT stoppt dann die Drehung des Teigrohrs und öffnet die Tür, damit der Roboter den Baumkuchen herausnehmen kann. Die Gesamtzeit, die von der Dateneingabe in das trainierte Modell über die Inferenzausgabe bis hin zur Rückmeldung an die Steuerung benötigt wird, beträgt rund 100 bis 200 ms. Dazu Herr Kitano: „Diese für AI-Anwendungen extrem schnelle Reaktionszeit ist möglich, weil AI-Inferenz und SPS-Steuerung in einer Steuerungsplattform, dem Beckhoff-IPC, integriert sind.“

Eine weitere technische Herausforderung ist die konstante Beschichtung der Teigrollen mit der gleichen Teigmenge. Dazu steuert TwinCAT die optimale Position und den Winkel der Drehstange, damit der Roboter für jede Schicht genau die gleiche Teigdicke auftragen kann. Dies ist ein enormer Vorteil gegenüber dem manuellen Vorgang, da der Materialverlust minimiert wird. „Unter diesem Gesichtspunkt ist Theo ein besserer Baumkuchenbäcker als ein Meister“, betont Herr Yokoyama. Für eine gleichbleibende Qualität müssen neben dem Backen auch die anderen Bedingungen stabil sein, d. h. der Teig sollte immer gleich sein. „Wird die Teigrezeptur geändert, funktioniert das trainierte Modell nicht mehr perfekt“, so Herr Yokoyama weiter. Dann muss in Zusammenarbeit mit dem Konditormeister ein neues Inferenz-Modell auf Grundlage des geänderten Teigs erstellt werden.

Steuerungsflexibilität erleichtert Optimierungen

Während des Pilot-Betriebs im Baum-Haus wurde die Systemkonfiguration optimiert: Die Position des Sicherheitslichtvorhangs und das Layout des Förderbands wurden geändert, um den Arbeitsablauf für die Bediener zu verbessern. Dies ließ sich durch den hohen Freiheitsgrad der EtherCAT-Topologie einfach realisieren. Auch die Systemupdates waren dank der flexiblen Engineering-Plattform TwinCAT ohne großen Aufwand konfigurierbar.

Im Baum-Haus ist das einzige automatisierte Baumkuchenstudio mit AI-Öfen, Förderbändern und Robotern installiert. Mehrere eigenständig arbeitende Öfen mit AI-Funktion (Theo) sind hingegen landesweit in Betrieb – sogar als mobile Baumkuchenstudios. Zudem baut Juchheim seine Aktivitäten aus, wie Herr Matsumoto erläutert: „In der Entwicklung sind ein Modell zum Backen von Teig auf Schokoladenbasis sowie eine Anlage mit kompakten Vertikal-Knickarmrobotern. Beckhoff und unser Engineering-Partner Matsuura Denkosha werden unsere ehrgeizigen und kreativen Initiativen weiterhin optimal unterstützen.“