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27.03.2024

Komplexe Prozesstechnik hochkompakt realisiert und automatisiert

Steuerungstechnik und Datenmonitoring bei Biogaskraftwerken in Container-Bauweise

Einfach nur einschalten – so könnte das Motto der Biogaskraftwerke von Reverion auf dem Weg zur klimafreundlichen Energieversorgung lauten. Allein schon der hochkompakte Aufbau in nur einem transportablen Container macht den Einsatz dieser Energietechnik leicht. Hinzu kommen der außergewöhnlich hohe Wirkungsgrad von 80 %, die reversible Nutzungsmöglichkeit sowie – mit PC-based Control von Beckhoff – das lückenlose Datenmonitoring als Voraussetzung für einen hohen Automatisierungsgrad.

Die Reverion GmbH, mit Sitz in Eresing, wurde 2022 von Dr. Stephan Herrmann und einem kleinen Team aus Ingenieuren und Wissenschaftlern der TU München gegründet und beschäftigt heute bereits mehr als 80 Mitarbeitende. Ziel des Unternehmens ist laut Sven Bettendorf, Application Engineer bei Reverion, zur Lösung von zwei der größten Probleme der Menschheit beizutragen: die Schaffung eines wirklich nachhaltigen Energiesystems und die Entfernung von Gigatonnen an CO2 aus der Atmosphäre. Mit den Biogaskraftwerken der neuen Generation lasse sich das Potenzial von Biogas maximieren und zudem könne man von überschüssiger Sonnen- und Windenergie, die sonst ungenutzt bliebe, profitieren.

Die Reverion-Biogaskraftwerke sind hochkompakt in einem Container untergebracht, erreichen einen hohen Wirkungsgrad von 80 % und ermöglichen den reversiblen Betrieb.
Die Reverion-Biogaskraftwerke sind hochkompakt in einem Container untergebracht, erreichen einen hohen Wirkungsgrad von 80 % und ermöglichen den reversiblen Betrieb.

Hocheffektiv und reversibel nutzbar

Zu den technischen Besonderheiten der Reverion-Biogaskraftwerke zählen insbesondere der hohe Wirkungsgrad sowie die reversible Nutzung einerseits zur Stromerzeugung und anderseits bei gesättigtem Netz zum Speichern von Biogas oder grünem Wasserstoff. Zur Systemeffizienz erläutert Sven Bettendorf: „Den aktuellen Marktstandard zur Nutzung von Biogas stellen die Blockheizkraftwerke dar. Sie erreichen allerdings nur einen Wirkungsgrad von ca. 40 %. Alternative Systeme, die wie unsere Biogaskraftwerke auf der Brennstoffzellentechnik basieren, erreichen immerhin schon rd. 60 %. Unsere Systeme arbeiten mit 80 % Wirkungsgrad aber noch deutlich effizienter.“ Hauptgrund für diese enorme Effizienzsteigerung sei die hohe Systemintegration und die damit verbundene Ausnutzung aller Optimierungspotenziale im Zusammenspiel der vielen verschiedenen Prozessabläufe. Die hohe potenzielle Bedeutung für die Energieversorgung verdeutlicht Julian Schauseil, Senior Software Developer von Reverion: „Es geht hier um durchaus relevante Energiemengen. Würde man alle Biogaskraftwerke in Deutschland auf unsere Technologie umstellen, könnte damit die derzeit noch mit Kohleverstromung abgedeckte Grundlast komplett ersetzt werden.“

Die Biogaskraftwerke von Reverion lassen sich durch die Möglichkeit des reversiblen Betriebs sehr gut zur flexiblen Energiespeicherung einsetzen. Julian Schauseil führt dazu aus: „Bei einer Sättigung des Energieversorgungsnetzes, z. B. aufgrund optimaler Bedingungen für Solar- und Windenergie, kann der zur Verfügung stehende Strom zur Biogasherstellung und -speicherung verwendet werden. Das hierfür in Deutschland aktuell nutzbare Gasnetz entspricht ungefähr der 100.000-fachen Speicherkapazität an verfügbaren elektrischen Speichern.“ Das Biogaskraftwerk dient somit nicht nur als lokales Kraftwerk, das Strom aus Biogas ins Netz einspeist. Vielmehr kann es auch umgekehrt – quasi als Puffer – beispielsweise bei günstigen Strompreisen oder viel Wind- bzw. Solarenergie Biogas oder auch grünen Wasserstoff erzeugen und daraus bei hohem Netzbedarf oder in Hochpreiszeiten erneut Strom einspeisen. Dabei arbeitet das Kraftwerk sogar CO2-negativ. Denn anders als bei Blockheizkraftwerken gelangt das CO2 aus dem Biogas nicht unkontrolliert über die Abgase wieder in die Umwelt, sondern es wird im System gespeichert und kann in Lebensmittelqualität abgefüllt sowie gezielt genutzt werden.

Komplexe Prozesse PC-basiert automatisiert

Die zugrunde liegende Prozesstechnik – zumal bei der hohen Integration und reversiblen Nutzbarkeit – teilt sich in vielfältigste Teilprozesse auf und erfordert eine sehr hohe Anzahl an Sensoren. Um all die verschiedenen Prozessvarianten zuverlässig und optimiert regeln sowie ein lückenloses Datenmonitoring realisieren zu können, ist eine leistungsfähige Automatisierungstechnik unabdingbar. Reverion nutzt hierfür PC-based Control von Beckhoff, das bereits vor der Unternehmensgründung im Rahmen der Forschungsarbeiten an der TU München eingesetzt wurde. Dazu erläutert Sven Bettendorf: „Zu Beginn war der einfache Zugang zur Software TwinCAT entscheidend. So konnte zunächst ohne Softwarekauf umfassend getestet werden. Wichtig waren zudem die einfache Erweiterbarkeit z. B. der TwinCAT-Visualisierung sowie der gute Support durch die Beckhoff-Experten. Gerade für eine Neuentwicklung wie unser Biogaskraftwerk ist PC-based Control mit seiner Flexibilität und Skalierbarkeit ein wichtiger Faktor. Schließlich ändern sich der Aufbau und die Prozessabläufe auf dem Weg vom Prototypen zur Serienreife besonders stark.“ Julian Schauseil ergänzt: „Hinzu kommt das umfassende Hardware-Portfolio mit einem aus unserer Sicht guten Preis-Leistungsverhältnis.“

Hauptziel der Automatisierungstechnik war – neben dem zuverlässigen und sicheren Anlagenbetrieb – ein Plug-and-Play-Einsatz aus Sicht des Betreibers. Die Reduzierung auf ein einfaches Ein- und Ausschalten ermöglicht dem Endanwender nicht zuletzt eine hohe Flexibilität, durch die sich vorhandene Energieversorgungsanlagen mit minimiertem Aufwand ersetzen lassen: Die Container-Bauweise vereinfacht die Suche nach dem passenden Aufstellungsort; der Anschluss erfordert lediglich eine passende Stromleitung und die Anbindung an das Gasnetz – über beides verfügen die Betreiber von Blockheizkraftwerken ohnehin.

Die Steuerungsarchitektur nutzt zwei Rechner: einen Embedded-PC CX2043 (unten) und einen Schaltschrank-Industrie-PC C6930 (oben, zukünftig ersetzt durch einen Ultra-Kompakt-Industrie-PC C6030).
Die Steuerungsarchitektur nutzt zwei Rechner: einen Embedded-PC CX2043 (unten) und einen Schaltschrank-Industrie-PC C6930 (oben, zukünftig ersetzt durch einen Ultra-Kompakt-Industrie-PC C6030).

Hardwareseitig ist die Automatisierungstechnik mit zwei Rechnern umgesetzt worden – ein Embedded-PC CX2043 (Hauptsteuerungsrechner) und ein Schaltschrank-Industrie-PC C6930 bzw. zukünftig ein Ultra-Kompakt-Industrie-PC C6030. Die Gründe hierfür erläutert Sven Bettendorf: „Der Einsatz von zwei miteinander kommunizierenden Industrie-PCs hat sich während der Systementwicklung ergeben, da sich die Komplexität zunehmend erhöht hat und sich auf diese Weise die Leistungsfähigkeit der Steuerungstechnik einfach nach oben skalieren und an die jeweilige Plattform anpassen ließ. Vorteile ergeben sich durch eine solche Redundanz außerdem hinsichtlich der Zuverlässigkeit im Betrieb.“ Komplettiert wird die Hardware durch über 450 EtherCAT-Klemmen für rd. 1.200 Sensoren und 300 Aktoren. Dazu zählen mehr als 220 Analogklemmen, wie die Analog-Eingangsklemmen EL3024 (4…20 mA), EL3064 (0…10 V), EL3208 (Pt100), EL3255 (Potentiometer) und EL3318 (Thermoelement).

Ausgewertet werden die Daten all dieser I/Os über die Beckhoff Software TwinCAT, mit der sich laut Julian Schauseil auch solch komplexe Systeme gut abbilden lassen: „Gerade bei sehr umfangreichen und kontinuierlich weiterentwickelten Steuerungsprogrammen bieten die von TwinCAT unterstützte objektorientierte Programmierung, das automatische Unit-Testing und die modulare Softwarearchitektur Vorteile. Änderungen sind damit einfach und ohne Folgefehler im übrigen Programm möglich. Auch notwendige Abstraktionen lassen sich gut umsetzen, was über das Kapseln von Funktionen, wie z. B. der Regler und eine Analogwertverarbeitung, die Strukturierung deutlich erleichtert.“ Wichtig sei zudem die Kommunikationsfunktionalität innerhalb von TwinCAT. So lassen sich die umfassenden Sensordaten mit TwinCAT 3 IoT Communication (TF6701) über das MQTT-Protokoll ohne großen Aufwand und flexibel an übergeordnete Datenbanken übertragen.

Leistungsfähige und integrierte Visualisierung

Das umfangreiche Datenmonitoring dient nicht nur der Prozesssteuerung, sondern auch als Basis für die technische Weiterentwicklung sowie zum Generieren erforderlicher Nachweise und abrechnungsrelevanter Größen. Dazu entwickelte Reverion eine eigene HMI-Erweiterung für das Datenmonitoring, was von TwinCAT laut Sven Bettendorf sehr gut unterstützt wurde: „Das TwinCAT 3 HMI Engineering (TF2000) ermöglicht insgesamt eine schnelle Applikationsentwicklung und ergibt ein einfach erweiterbares HMI. Und auch die Offenheit der TwinCAT-SPS sowie die Schulungen durch die Beckhoff-Experten haben sehr geholfen.“

Entscheidend für die Leistungsfähigkeit der Visualisierung seien zudem die guten Kommunikationsmechanismen innerhalb von TwinCAT gewesen. Die entsprechend effiziente Datenverarbeitung ist bei dieser Applikation laut Sven Bettendorf von besonderer Bedeutung, vor allem aufgrund der großen Datenvielfalt und -menge sowie der zahlreichen erforderlichen HMI Controls. Eine weitere Anforderung an das HMI und die HMI-Erweiterung war die Einfachheit im Betrieb, sowohl bei Kurz- als auch bei Langzeitaufzeichnungen. Die Industrie-PCs von Beckhoff stellen hierbei ausreichend Rechenleistung und Arbeitsspeicher bereit, um die große Datenmenge zu verarbeiten bzw. anzuzeigen und um bei Bedarf schnell zwischen verschiedenen HMI-Screens (bei vierfachem Multiscreen) wechseln zu können.

Kontinuierliche Weiterentwicklung

Mit den ersten Biogaskraftwerk-Protoypen mit 100 kW Leistung bleibt die Entwicklung bei Reverion nicht stehen. Mit dem Jahr 2024 startet zum einen deren Serienproduktion, zum anderen sind auch größere Anlagen mit 500 kW Leistung geplant. Weiteres Marktpotenzial – ergänzend zur Biogas-Nutzung – sieht Sven Bettendorf im Einsatz von Wasserstoff als Basisenergieträger. Julian Schauseil ergänzt dazu: „Neue Einsatzmöglichkeiten ergeben sich allein schon durch die Container-Bauweise und die einfache Anschlusstechnik. Dies unterstützt sehr gut die Modularisierung der Energieversorgung, indem ein höherer Bedarf einfach durch mehrere Anlagen abgebildet werden kann.“